Martha Schrag

(1870–1957)

1950 war noch nichts gut. Überall Kriegstrümmer. Ausgerechnet jetzt ernennen die Chemnitzer Räte Martha Schrag zur Ehrenbürgerin. Die späte Ehrung der Künstlerin zu deren 80. Geburtstag war ein Signal.

Ohne Kultur hätten die Menschen nach dem verheerenden Krieg den kräftezehrenden Wiederaufbau nicht geschafft. Sie sehnten sich nach allem, was nicht Krieg, Bomben und Maloche war. Sehnten sich nach Theater, Konzerten und Bildern.

Martha Schrag war die bedeutendste Vertreterin der bildenden Kunst in Chemnitz. Vor ihr, gleich 1946, war Karl Schmidt-Rottluff Ehrenbürger geworden. Der Expressionist, mittlerweile wieder in Berlin, schätzte Martha Schrag, die, obwohl sie kaum aus Chemnitz herauskam, künstlerisch immer auf der Höhe der Zeit war.

Die Ehrenbürgerwürde war für Martha Schrag auch Rehabilitation: Sie war den Nazis ein Dorn im Auge gewesen. 23 Arbeiten aus öffentlichen Sammlungen waren als „entartete Kunst“ beschlagnahmt worden. Sie hatte kaum ausstellen dürfen. Hatte sich zurückziehen müssen und unverfängliche Landschaften gemalt und gezeichnet, eigentlich so gar nicht ihr Thema.

Martha Schrag war eine mutige Frau. Sie musste - nicht nur zuhause gegenüber ihrem Vater, einem bürgerlich strengen, königlichen Landgerichtspräsidenten, der die Tochter lieber an Kochtöpfen gesehen hätte - darum kämpfen, 1898 in Dresden in die Damenmalschule aufgenommen zu werden. An der Kunstakademie waren Frauen als Aktmodelle gern gesehen. Studieren durften sie dort nicht. Nach der Ausbildung wieder in Chemnitz wählte sie auch nicht gerade den einfachen Weg. Wie andere Mitglieder der Künstlergruppe Chemnitz, der sie sich 1907 angeschlossen hatte. Die Bilder und Skulpturen der Künstlergruppe sind nicht „schön“.

In der blühenden Industriemetropole Chemnitz wollten die, die sich Kunst leisten konnten, nicht unbedingt die Mühen und den Dreck, die die Industrie damals mit sich brachte, auch noch an den Wohnzimmerwänden hängen sehen. Aber Martha Schrag malte die drohenden Schornstein-Rohre mit ihren rußigen Wolken, häufiger noch - wie ihr bewundertes Vorbild Käthe Kollwitz - die hart arbeitenden Menschen vom untere Ende der sozialen Skala, und die schwächsten Glieder der Gesellschaft, die Mütter und ihre hungernden Kinder. Damit machte man kein Geld.

Bei der Bombardierung von Chemnitz wurde Martha Schrags Haus zerstört, viele ihrer Werke vernichtet. Nach dem Krieg endlich die Anerkennung, auch über Chemnitz hinaus. Viele Ausstellungen. Aber malen konnte Martha Schrag kaum noch. Sie sah fast nichts mehr. Die Ehrenrente verschenkte die genügsame Frau großteils an noch ärmere Künstlerkollegen. Sie starb 1957 und ist auf dem Nikolaifriedhof begraben, wie die andere berühmte Kaßbergerin, Marianne Brandt.