Irmtraud Morgner

(1933–1990)

 
 

Im Jahr von Hitlers Machtergreifung erblickte Irmtraud Morgner als Tochter eines Lokführers und einer Hausfrau in Chemnitz – in einem Haushalt ohne Bücher – das Licht der Welt. Nach dem Abitur 1952 an der damaligen Karl-Marx-Ober-schule in Chemnitz studierte sie Literaturwissenschaften und Germanistik in Leipzig. Ehe sie ab 1958 als freie Schriftstellerin arbeitete, war sie Mitarbeiterin der Literatur-Zeitschrift NDL, wurde Mitglied des DDR-Schriftstellerverbandes, zeitweise auch dessen Vorstandes. Erfolg hatten ihre Bücher in beiden Teilen Deutschlands, wovon Literaturpreise in Ost und West zeugen. Ihre literarischen Heldinnen träumen davon fremde Welten zu erforschen, Spannendes zu ent-decken. Phantastische Geschichten, die zugleich eng mit der Realität verknüpft sind, wurden ihr literarisches Markenzeichen. Geschrieben aus feministischer Perspektive setzte sie sich mit dem Thema der Emanzipation von Frauen ausei-nander. So wurde sie nicht nur in der westdeutschen Frauenbewegung als die „Feministin der DDR“ gefeiert.

Als Meisterwerk gilt der 1974 erschienene Roman „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“. In ihm beschreibt sie die sonderbare Begegnung der alleinerziehenden und werktätigen DDR-Frau Laura Salman mit der über 800 Jahre alten französischen Dichterin Trobadora Beatriz, die gerade aus ihrem Langzeitschlaf erwacht ist und die Weltprobleme am Ende des 20. Jahrhunderts kennenlernen möchte. Morgners märchenhafter Collage-Roman ist zugleich durch Satire und bittere Bezüge zur DDR-Realität gekennzeichnet. Das fiel auch der DDR-Obrigkeit auf und ihr zweites großes Salman-Werk „Amanda: Ein Hexenroman“ wurde vor Erscheinen 1983 von der Zensur behindert. Darin wird poetisch die Spannung der Ost-West-Machtblöcke reflektiert. Auch in diesem Roman spielen Frauen die besondere Rolle. Wieder hat der Roman phantastische Elemente. Die Protagonistin erleidet eine Teilung in zwei Hälften: Die eine Hälfte ist die „brauchbare“ Frau, die zwei Schichten am Tag schafft, während die andere die „unbrauchbare“ Dame ist, die als Salon-hure feiert und nebenbei als Hexe auf eine Umkehrung der Verhältnisse sinnt. Den dritten Band ihrer geplanten Salman-Trilogie: „Das heroische Testament“ konnte sie wegen ihrer Krebserkrankung nicht vollenden, er kam postum 1998 heraus.

Mit ihren großartigen Werken schrieb sich Irmtraud Morgner, wie Alice Schwar-zer feststellte, an die Spitze eines neuen Dichtens und Denkens im geteilten Deutschland. Sie war Dichterin aus der DDR und wurde zur „Trobadora“ des Aufbruchs: „Mein Antrieb wäre nicht, Kunst zu machen, mein Antrieb wäre, Welt zu machen. Natürlich mit der größtmöglichen Wucht an Worten.“ In vielen Büchern verarbeitete Irmtraud Morgner autobiographische Geschich-ten aus ihrem persönlichen Umfeld. Diese Chemnitzer Facetten in Morgners literarischen Oeuvre hat die Autorin Gerlinde Erxleben hervorragend in Beiträ-gen in den zwei Büchern: 150 Jahre Gymnasium Chemnitz, sowie Literarisches Chemnitz, herausgearbeitet.