Wilhelm André

(1827–1903)

Endlich durfte Chemnitz das Kleinstadtimage ablegen und einen Oberbürgermeister haben, und dann sollte es kein Sachse sein? Der Knatsch war programmiert. Die königlich sächsische Verwaltungsreform von 1874 konnte vielen der damals rund 78.000 Chemnitzer gestohlen bleiben. Sie waren eh schon angefressen, weil Chemnitz nur Amtshauptstadt war, die übergeordnete Kreisdirektion aber in Zwickau saß. Aber die Deputierten, die sich die vielen OB-Bewerbungen genauestens anzusehen hatten, blieben bei ihrem Entschluss: Der Kandidat Nr. 16 ist der Beste. Sie hatten Recht. Als Oberbürgermeister Dr. jur. Wilhelm André 1896 den Ruhestand ging, machten ihn die inzwischen 168.000 (!) Chemnitzer zu ihrem Ehrenbürger.

Der ehemalige Stadtsyndicus aus Osnabrück hatte Chemnitz zu einer formidablen, im ganzen Reich bewunderten Großstadt gemacht. Zu einer reichen und urbanen. André brachte die Finanzen in Ordnung, kaufte die zuvor privat betriebene Gasanstalt, ließ eine Straßenbahn bauen, deren Wagen noch von Pferden gezogen wurden. Aber nicht mehr lange. André kaufte das E-Werk, und die Pferde konnten in Pension gehen. André ließ Wasser (aus dem neuen Wasserwerk und der neuen Talsperre Einsiedel) in die Häuser führen und Abwässer in neuen  öffentlichen Leitungen und nicht mehr in Sickergruben stinken. Er baute den ersten Schlachthof und die Markthalle.

Und sorgte neben allem anderen mit Werner von Siemens noch dafür, dass das erste deutsche Patentgesetz verabschiedet wurde. Damit die Erfindungen seiner kreativen Chemnitzer  Industriellen nicht mehr geklaut und einfach abgekupfert werden konnten. Sechsmal so viele Erfindungen wie sonst im Deutschen Reich kamen aus Chemnitz! Das war bares Geld für die Chemnitzer Industriellen, die wiederum die Stadtsäckel füllten, damit Chemnitz noch schöner und attraktiver würde. Und André sich für die Stadt auch den einen oder anderen Luxus leisten konnte wie den Kauf des Küchwalds als Naherholungsgebiet für die vielen neuen Fabrikarbeiter. Das Wort Kleinstadtimage konnte man nicht mal mehr buchstabieren.

Als André starb, war Chemnitz eine der bedeutendsten deutschen Großstädte. Und selbstredend nicht mehr der Kreisdirektion in Zwickau unterstellt. Seit André ist Chemnitz der südwestsächsische Magnet.