EMIL OSCAR RICHTER

(1841–1905)

Was sie in ihren Fabriken bauten, konnte nicht groß genug sein. Webstühle etwa, oder Lokomotiven. Aber was die Chemnitzer Industriellen des 19. Jahrhunderts liebten, und womit sie manchmal auch protzten, waren ihre kleinen, feinen Taschenuhren an prächtigen Ketten vor dem Westenbauch. Aber die schönste Uhr taugt nichts, wenn sie nicht geht. Uhrmacher war ein Beruf mit Zukunft. Das dachte sich wohl auch Vater Richter im erzgebirgischen Schlettau und schickte seinen Sohn in die Uhrmacherlehre nach Chemnitz. Ob der junge Präzisionsfanatiker dort schon auf die Idee kam oder erst auf der Wanderschaft über Breslau nach Paris – egal: Emil Oscar hörte von Uhrmachern und Baumeistern, dass sie immer dann ein Problem hatten, wenn sie in ihren Konstruktionszeichnungen kleinste Kreise zeichnen sollten.

Den Leuten kann geholfen werden, dachte Emil Oscar Richter, tüftelte und erfand den Nullenzirkel. Der erlaubte es, Kreise mit einem Durchmesser von 0,1 mm höchst präzise aufzu“reißen“. Viele Patente hat der kluge Erfinderkopf später noch dazu ersonnen, Punktierfedern und Schraffiermaschinen, vor allem die Flachreißzeuge – mit flachen statt dreieckigen oder runden Schenkeln. Sie ließen sich in der richtigen Metalllegierung industriell herstellen, waren handlicher durch den Richterschen feststehenden Zirkelkopf und viel präziser. Sie machten ihn in ganz Europa berühmt.

Noch heute werden die Fabrikate aus der Reißzeugfabrik E.O.Richter, Chemnitz, zu Liebhaberpreisen gehandelt – wenn sie im Originaletui stecken (auch die machte Richter selber - falsch verpackte Zirkelspitzen sind schnell krumm…). Generationen von Architekten, Ingenieuren – ja, und Schülern haben mit Richter-Reißzeugen gearbeitet, die heute als Zirkelkästen in manchen Wohnzimmerschränken liebevoll aufbewahrt werden. Gebraucht werden sie immer weniger, im Ingenieur-Studium vielleicht noch, später übernimmt Zeichen-Software im PC die Aufgabe. Aber wohl kein Haus auf dem Kassberg und viele sonst wo in Europa sind mit Richterschen Reißzeug entworfen worden. Kaum vorstellbar auch, dass die Entwicklungs-Ingenieure der weltberühmten Chemnitzer Schreib- und Buchungsmaschinen-Industrie von Ascota bis Wanderer ohne die Reißzeuge von Richter ausgekommen wären. Bald zählte er selbst zu den „großen“ Fabrikanten. Ob er seine kleinen Lieblinge, die Taschenuhren, da noch selbst repariert hat?