Hans Carl von Carlowitz
(1645 – 1714)
Zeitgenosse Stradivari (1648 – 1737) war Lebtags kein reicher Mann. Heute sind seine Geigen Millionen wert. Ihr Holz war ganz langsam gewachsen. In Europa bremste zwischen 1645 und 1715 eine extreme Kälteperiode das Wachstum und ließ die Menschen bibbern. Auch in Deutschland war es kalt. Auch in Sachsen wuchsen die Bäume langsamer. Wenn es überhaupt noch welche gab. Der 30-jährige Krieg hatte ganze Landschaften in Schutt und Asche gelegt. Im Erzgebirge wurden Bäume um Bäume gefällt – zum Ausbau der Gruben, zum Heizen der Schmelzöfen. Es herrschte Holznot. Hans (er selbst schrieb sich Hannß) Carl von Carlowitz hat Stradivari wahrscheinlich nie getroffen, auch nicht auf seiner Kavaliers-Reise (mit 20 fing er an), die ihn fünf Jahre durch ganz Europa führte. Aber er lernte, dass langfristig denken muss, wer mit Holz Gewinne machen will. Ein Baum, der weg ist, ist weg. Das Geld von einem neu gepflanzten erntet erst die nächste Generation. So wie ein Geigenbauer das Holz kauft, das erst seine Nachfahren zum Klingen bringen.
Carlowitz, alter sächsischer Uradel, kam an einem Heiligabend als Zweitältestes von 16 Kindern in Rabenstein zur Welt. (Selbst der Adel sorgte für langfristige Familiensicherung). In London musste er als junger Mann in den Knast. Unschuldig. Aber die damals schon kurzfristig denkenden Brexit-Vorfahren schoben den großen Stadtbrand von 1688, der ein Drittel der City-Holzhäuser abfackelte, den Fremden in die Schuhe. In Frankreich musste er mit ansehen, wie der Sonnenkönig zum Aufbau einer Kriegsmarine Wald um Wald seinen Welteroberungs-Plänen opferte. Carlowitz kehrte zurück, wurde einer der mächtigsten Männer des sächsischen Sonnen-Kurfürsten August des Starken. Als Oberberghauptmann musste Carlowitz dafür sorgen, dass weiterhin genügend Silber in den Dresdner Kassen klingelte. Keine Bäume, kein Grubenausbau, keine Schmelzöfen, kein Silber. Carlowitz hatte seine Lektion gelernt. Und er wollte, dass er mit seinem Wissen nicht allein blieb. Und kratze mit dem Federkiel Blatt um Blatt voll, bis daraus ein Buch entstand, das gedruckt 432 Seiten umfasste – ein Grundgesetz der Forstwirtschaft: „Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ fängt der Titel an, der allein schon 212 Wörter umfasst. Aber ein einziges Wort, das nur einmal vorkommt in dem dicken Wälzer, hat Carlowitz weltberühmt gemacht: „Nachhaltig“.
In Zeiten drohender Klimakatastrophen denkt alle Welt über „Nachhaltigkeit“ nach. Auch die Carlowitz-Gesellschaft in Chemnitz „zur Förderung der Nachhaltigkeit“. Es geht schon lange nicht mehr nur um Holz. „Wir müssen in Generationen denken“, wissen nachhaltig denkende Familienunternehmer – heute, wie damals alle unsere Großen Chemnitzer. Und doch: Holz sei so wichtig wie das tägliche Brot, hat Carlowitz geschrieben. Mehr noch. Es ist Seelennahrung. Ohne Carlowitz gäb’s wohl kaum noch den mythischen „deutschen“ Wald. Und eines der schönsten deutschen Lieder wäre nie geschrieben worden: Eichendorffs „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?“