Karl Schmidt-Rottluff

(1884–1976)

Das hat Chemnitz verpasst. Hätten die Ratsherren 24 Jahre früher das kleine Arbeiterwohndorf Rottluff nicht erst als letztes eingemeindet, hieße heute einer der größten Expressionisten wohl Karl Schmidt-Chemnitz. Auch Namen machen Leute. Hans Emil Hansen nannte sich nach seinem Geburtsort Emil Nolde, und Karl Schmidt fügte seinen Geburtsort dem Vaternamen zu.

Der Müllersohn aus Rottluff studierte in Dresden Architektur. Genauso wie sein Schulfreund vom Königlichen Gymnasium, Erich Heckel, und Ernst Ludwig Kirchner, der auch in Chemnitz sein Abi abgelegt hatte, und Fritz Bleyl aus Zwickau. Dass sie Architektur studierten und nicht Malerei, war wahrscheinlich der tiefere Grund dafür, dass sie die Künstlervereinigung „Brücke“ gründeten und Maler wurden, deren Bilder in den berühmtesten Museen der Welt hängen. Sie fühlten sich verloren in der „alten“ Kaiserwelt, wollten sich anders ausdrücken, neu, in die Zukunft gewandt, nicht Bewahrer der Tradition sein, wie die Akademie- Lehrer es den Kunst-Studenten beibrachten. Im Vergleich zu den Kosten eines Hausbaus sind Holzstöcke, Leinwände und Grafikblätter vergleichsweise billig und für „verrückte“ Ideen verwendbar.

So sehr wie Karl Schmidt-Rottluff hat sich keiner in leuchtenden, unvermischten Primärfarben und rauen, spitzen, ganz und gar unkaßbergischen Formen ausgedrückt. Nolde war begeistert und machte kurze Zeit bei der „Brücke“ mit. Schmidt-Rottluffs Entwurf für den neuen Reichsadler der Weimarer Republik nannte die alte Tante Vossische Zeitung schmunzelnd einen „erschrockenen Papagei“. Die Nazis aber hatten Angst vor der expressiven Kraft der Arbeiten Schmidt-Rottluffs. 608 Arbeiten wurden aus deutschen Museen abgehängt, teilweise verbrannt. Die Kunstsammlungen Chemnitz haben heute 278 Werke des Weltkünstlers aus dem Stadtteil Rottluff. Nichts verpasst diesmal. Anschauen!